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Gehorsam und Disziplin.
Von Anton Weis-Ulmenried.
(Aus „Pädagogische Studien.")
Mit diesem Thema verhält es sich ähnlich wie mit guten Theaterstücken, die,
wenn sie auch noch so alt sind, von Zeit zu Zeit immer wieder neueinstudiert und
aufs Repertoire gesetzt werden. Dieses Thema ist so reichhaltig und von so weit-
tragender Bedeutung, dass es sich immer wieder lohnt, es von irgend welchen neuen
Gesichtspunkten aus in Besprechung zu ziehen.
Es gab eine Zeit, wo die Erzieher des Volkes Gesetze verfassten, die haupt-
sächlich bestimmten, was man nicht tun solle. Um diesen Gesetzen Respekt zu
verschaffen, redete man dem Volke ein, dieselben seien göttlichen Ursprunges, und
diejenigen, welche sich ihnen trotzdem nicht fügen wollten, wurden von der Not-
wendigkeit des Gehorchens durch strenge Strafen überzeugt. Indem nun die €re-
setze die Aufmerksamkeit auf das lenkten, was nicht getan werden dürfe, weckten
sie schlummernde, b{)se Instinkte und arbeiteten so dem Zwecke, dem sie dienen
sollten, geradezu entgegen. Hervorragende Geister haben denn auch eingesehen,
dass man den Menschen vor allem etwas Positives zu tun geben müsse, das deren
ganze innere Welt sozusagen gefangen nimmt. Sie waren sich klar darüber, dass
in dem Masse, als dies glückt, die bösen Gedanken immer weniger Baum \md Zeit
hätten und böse W^orte und Handlungen infolgedessen immer seltener würdeiL
Das, was betreffs ganzer Völker Greltung hat, gilt auch hinsichtlich der Kinder.
Wollen wir Lehrer innerhalb unseres Wirkungskreises Erfolge erzielen, so dürfen
wir unseren Schülern nicht fortwährend lehren, was sie nicht tun sollen, dafür
aber um so mehr ihre Blicke auf das Wahre, Gute und Schöne hinlenken. Leider
ist an unseren Schulen noch immer der Nicht-Standpunkt der vorherrschende.
Immer heisst es: „So und so darfst du es nicht machen!" — „das und das ist ver-
boten" — jtust du dies oder das, bekommst du diese oder jene Strafe" — usw.
Wenn wir statt dessen den positiven Standpunkt wählten, würden wir den Schü-
lern am ehesten und besten gute Gewohnheiten anerziehen. Was und wieviel die
Gewohnheit bedeutet, sie sei guter oder schlechter Art, ist ja bekannt. Mehr als
je ist es in unserer jagenden Zeit nötig, dass die Kraft des Menschen auf positive
Arbeit gerichtet werde, nicht nur auf Bekämpfung dessen, was nicht getan wer-
den soll. Gemäss der angedeuteten Grundsätze muss die Besprechung des Disziplin
in der Schule hauptsächlich davon handeln, was getan werden kann, um Verstössen
und Vergehen gegen Gehorsam und Disziplin vorzubeugen, indem die Aufmerk-
samkeit der Schüler von dem, was unrecht ist, abgeleitet und auf das, was recht
ist, hingelenkt wird. Gleichzeitig müssen auch die dem Lehrer zur Verfügung
stehenden Mittel behufs Erreichung dieses Zieles in Erwägung gezogen werden.
Wenn man die zwei Begriffe Gehorsam und Disziplin nebeneinander-
stellt, zeigt sich sofort klar und deutlich, was sie miteinander gemeinsam haben
und was jedem von ihnen besonders zukommt. Gemeinsam ist des Lehrers Wille
als oberste und einzige Richtschnur. Der Gehorsam aber betrifft den einzelnen
Schüler und der einzelne Befehl ist mithin ein individualistischer Begriff, w&hrencf
110 Monatshefte.
Disziplin kollektiv ist und sieh auf eine ganze Klasse oder Schule bezieht, au
deren ganzes Tun und Gehaben. Die Kinder einer Klasse ftir Disziplin zu gewin-
nen, sie an dieselbe zu gewöhnen, ist Klassenunterricht auf das Gebiet der päda-
gogischen Moral übertragen. Nun ergibt sich zunächst die Frage: Was versteht
man unter guter Disziplin? Darüber sind die Ansichten sehr geteilt. Was dem
einen „Disziplin" zu sein scheint, erscheint dem anderen als Schlappheit, Unord-
niuig, Liederlichkeit. Der eine verlangt, dass die Schüler vom Beginn bis zum
Sehluss des Unterrichtes wie hölzerne Figuren unbeweglich und steif dasitzen, —
während ein anderer wieder die „Individualität" nicht erdrücken und ersticken
will und den Schülern verschiedene Freiheiten und Bequemlichkeiten gestattet.
Abgesehen von solchen subjektiven Ansichten besteht doch bez. niuss bestehen ein
bestimmter Unterschied in der Disziplin, in welcher ältere und jüngere Schüler
mehr o<ler weniger entwickelte Individuen gehalten werden müssen. Die Wir-
kungen einer schlappen Disziplin kann man sich leicht vorstellen. Die Grenzen
sind in dieser Beziehung schwer zu ziehen. Die Individualität des Schulleiters,
der Mitglieder des Lehrkörpers, der „Geist", der in der Schule herrscht — das sind
die Faktoren, welche bewirken, dass eben diese Grenzen ungleich gezogen werden
müssen. Hier wie so oft zeigt es sich, dass das Lehren eine Kunst ist, welche die
Gabe voraussetzt, die richtige Mittelline zu finden, was wieder Takt und Verständ-
nis erfordert. Die Gabe, Disziplin zu halten, hat der, welcher zu jedem beliebigen
Zeitpunkte nur mit einem Worte oder durch einen Wink die volle und ungeteilte
Aufmerksamkeit seiner Schüler hervorzurufen vermag und sie, ohne dass sie einen
eigentlichen Zwang fühlen, zur strikten Befolgung seiner Aufträge und Befehle
veranlasst. Um gute Disziplin zu halten, ist es ja keineswegs notwendig, die Zügel
immer oder gar übertrieben straff anzuziehen. Die gute Disziplin ist weder stramm
noch schlapp, aber fest und ihrer Herrschaft sicher zu jeder Zeit. Disziplin ist
absolute Bedingung für ein erfolgreiches Arbeiten der Schule. * Der Lehrer, der
nicht die Gabe hat, Disziplin zu halten, reibt sich in einem hoffnungslosen Kampfe,
(>dnung und Ruhe zu Wege zu bringen, auf. Es verhält sich mit ihm wie mit
einem Dampfkessel mit undichten Ventilen. Die Hälfte des Dampfes geht verloren.
Disziplin ist aber nicht nur absolut notwendige Bedingung für einen er-
folgreichen Unterricht, sie ist auch von grösster Bedeutung und Wichtigkeit für
die Zukunft des Schülers in moralischer Hinsicht. Ist es ja doch höchst wichtig
und wertvoll, dass das Kind bei Zeiten lernt, nicht nur seine ganze Aufmerksam-
keit auf die ihm momentan vorliegende Aufgabe zu richten, sondern auch, den
eigenen Willen gehorsam zu beugen unter die von der Moral luid der Gesellschaft
geschaffenen Gesetze. Die Disziplin ist also nicht nur für die Schule, sondern auch
* Comenius, der Seher unter den Pädagogen, widmet in seiner grossen Unter-
richtslehre der Schulzucht (Disziplin) ein eigenes Kapitel. Er sagt: „Das in Böh-
men sehr gewöhnliche Sprichwort: Eine Schule ohne Zucht ist eine Mühle ohne
Wasser — ist ganz richtig. Denn wenn man einer Mühle das Wasser entzieht, so
bleibt sie stehen, und wenn einer Schule die Zucht fehlt, so muss alles ins Stocken
geraten. Und wie auf einem Acker, wenn er nicht gejätet wird, sogleich das der
Saat verderbliche Unkraut hervorspriesst, so verwildern auch die Bäumchen, wenn
sie nicht geputzt werden und bringen nutzlose Triebe hervor. Daraus folgt in-
dessen nicht, dass die Schule voll sein müsse von Wehgeschrei und Schlägen, son-
dern vielmehr voll von Wachsamkeit von Seite der Lehrenden und Lernenden;
denn was ist die Schulzucht anderes, als ein zuverlässiges Verfahren, durch wel-
ches die Schüler wahrhaft Schüler werden sollen ? —
Gehorsam und Disziplin. 111
fürs Leben von grösster Bedeutung. Die „RegJerungsfonn" in der Schulstube
muss seitens des Lehrers strenger, aber so zu sagen „aufgeklärter" Absolutismus
sein, der stets das Wohl seiner Untergebenen vor Augen hat. Der Lehrer soll und
muss unbestritten und unbedingt herrscheu, milde, nötigenfalls aber auch mit
Strenge.
Der Hauptzweck der Disziplin während des Unterrichts ist bekanntlich, dass
die Schüler mit imunterbrochener Aufmerksamkeit dem Unterrichte folgen kön-
nen. Es ist dies eine ebenso notwendige und wichtige als schwere Forderung;
denn jedermann weiss, wie schwer es Erwachsenen fällt, irgend einem Vortrage
nur durch kurze Zeit mit gespannter Ruhe und Aufmerksamkeit zu folgen, — und
die armen Knaben und Mädchen sollen Tag für Tag 5 — 6 Lektionen mit grösster
Aufmerksamkeit folgen! Glückt es dem Lehrer, die Aufmerksamkeit der Schüler
ununterbrochen zu beherrschen, so hat er die Disziplinfrage gelöst. Die Schüler
finden dann kaum eine Gelegenheit oder Möglichkeit, Unfvig zu treiben, und der
Lehrer erwirbt sich auf diese Weise am ehesten und leichtesten deren Anhänglich-
keit und Zuneigung.
Das wichtigste Disziplin mittel ist die Persönlichkeit
des Lehrers. Für eine kräftige — nicht im physischen Sinne allein — Lehrer-
persönlichkeit gibt es keine Disziplinfragen. Durch seine blosse Anwesenheit übt
ein solcher Lehrer hinreichenden Einfluss auf die Schüler aus, um sie nach seinem
Willen zu leiten. Er spricht freundlich, aber in bestimmtem Tone mit den Kin-
dern, und niemand hat ihn noch ernstlich zornig gesehen. Trotzdem herrscht
unter den Schülern die Vorstellung — Gott mag wissen, woher sie stammt —
dass wenn er einmal zornig würde, dies etwas Schreckliches sein würde, und Dank
dieser Vorstellung ist die Erhaltung guter Disziplin für ihn die leichteste Sache
von der Welt. Bekanntlich besitzen aber nicht alle Ijchrer diese beneidenswerte
Gabe. Welche Mittel sollen und können ntui jene anwenden, denen von Natur aus
nicht die Gabe, gute Disziplin zu halten, l)eschert ist? Die müssen sich vor allem
bemühen, ihrem Platze gewachsen zu sein und zwar zunächst hinsichtlich der Kennt-
nisse. Die Schüler sind gar scharfe Beobachter. Ist der Lehrer nicht vollkommen
Herr des Unterrichtsstoffes, so werden die Schüler sofort das gewisse Sicherheits-
gefühl bei ihm vermissen, welches eine so mächtige Stütze für den Lehrer ist, und
dann ist's mit der Disziplin und mit der Autorität des Lehrers vorbei. Es verhält
sich da ähnlich, wie mit einer Gesellschaft, die eine Bootfahrt unternimmt, aber
zum Steuermann kein Vertrauen hat. Da entsteht bekanntlich Unruhe, das Boot
beginnt zu schlingern, die Unruhe wid mit ihr die Gefahr umzukippen, wird immer
grösser.
Die Wichtigkeit sorgfältiger Vorbereitung seitens des Lehrers kann da nicht
genug betont werden. Ist die Lektion so gut vorbereitet, dass der Ijehrer einen
förmlichen Hagelschauer von Fragen ergehen lassen kann, dann sind die unruhigen
Geister bald gezwungen, auf anderes als auf Unfug zu denken, und Störungen der
Ruhe und Ordnung Avird so vorgebeugt. Die Schüler fühlen gleichsam einen Druck
oder Zwang, dem Unterrichte mit Aufmerksamkeit zu folgen, wobei sie fühlen,
dass sie jetzt Gelegenheit haben, auch wirklich etwas Neues zu lernen. Einzelne
Störenfriede werden sich freilich auch dann noch finden. Die werden aber am
besten zur Raison gebracht, ja geradezu bestraft dadurch, dass der Lehrer Fragen
an sie stellt, die sie nicht beantworten können, so dass sie blamiert vor der Klasse
dastehen. Fortwährendes Wiederholen derselben Ermahnungen bei derlei Anlässen
ist zwecklos, wird langweilig. Ebenso wertlos sind Ermahnungen, die an die
ganze Klasse gerichtet werden. Soll eine Ermahnung Wirkung haben, muss sie
immer an ein bestimmtes Individuum gerichtet sein.
113 Monatshefte.
Weiter ist erforderlich, dass der Lehrer ein ernstes Interesse für seinen Beruf
und für die Schüler habe und zeige. Merken diese, dass der Lehrer eigentlich nur
in der Klasse ist, weil der Stundenplan dies fordert, so werden sie bald zerstreut
und unruhig, mit der Disziplin ist's dann aus. Wichtig ist auch, dass der Lehrer
ein entsprechendes Mass von Festigkeit und Bestimmtheit in seinen Anforderun-
gen an die Schüler zeige, sowie, dass er sich nicht von momentanen Stimmtmgen
und Launen beeinflussen lasse. Eine Hauptbedingung für gute Disziplin und ins-
besondere für Gehorsam ist strenge Gerechtigkeit und minutiöse Unparteilichkeit
insbesondere bei Verhängung von Strafen, die überdies stets der Beschaffenheit
des Vergehens und der Individualität des Kindes angepasst sein müssen, was vom
Lehrer gerechtes Urteil, scharfen Blick und Taktgefühl erfordert. Da nichts so
irritierend auf die Kinder wirkt, als das Bewusstsein oder auch nur der Verdacht,
dass der Lehrer Unterschiede macht, so muss derselbe ' es vermeiden, irgend ein
Kind zu bevorzugen, sich mit ihm besonders zu befassen, es gleichsam als seinen
Liebling hinzustellen — nicht wieder aber auch, irgend ein Kind gleichsam zum
Sündenboek der Klasse zu machen, mag es seinem Auftreten und ganzen Wesen
nach noch so iinsympathisch sein. Da der Lehrer jeden Schein von Parteilichkeit
vermeiden soll, darf er den Kindern auch keine Beinamen geben, seien es Schimpf-
oder Schmeichelnamen; denn auch letztere werden gewöhnlich zu Spitznamen.
Grosses Gewicht ist dem Blick des Lehrers beizumessen, mit dem er die Kinder
unbewusst gewissermassen hypnotisieren soll. Im gleichen Grade, wie der Blick
des Lehrers milde und tiefschauend, sein Ohr scharfhörend und deutlich verstehend
das, was im Innern des Kindes vorgeht und sich zu entwickeln beginnt, ist wie
seine Hand, mit der er das Kind vorwärts führen soll, vorsichtig und doch fest ist
— im gleichen Grade wird zwischen ihm und den Kindern ein Vertrauensverhält-
nis geschaffen, welches die sicherste Bürgschaft für Gehorsam und gute Dis-
ziplin ist.
Eines der schlechtesten Disziplinmittel bilden nebst häufigen Ermahnungs-
reden die Anmerkungen im Kataloge, weil der „Malefikant" nicht zu fühlen be-
kommt, das sein Vergehen verziehen wird. Wenige Lehrer verstehen es, diesem
Strafmittel die geeignete Form zu geben dadurch, dass sie versprechen, die An-
merkung nach einer gewissen Zeit, wenn sich bis dahin kein Anlass zu Unzufrie-
denheiten mit dem betreffenden Schüler ergibt, wieder auszustreichen.
Die Schule darf sich natürlich nicht darauf beschränken, nur während des
Unterrichtes auf die Schüler ihren Einfluss auszuüben. Auch für die allgemeine
Ordnung ausserhalb des Unterrichts müssen gewisse Vorschriften gegeben werden.
In vielen Fällen sind sie allerdings überflüssig. Wenn es sich z. B. zeigt, dass mit
gewissen Anschauung»- oder Unterrichtsmitteln Unfug getrieben wird, ist es das
einfachste, der I^ehrer nimmt sie nach Sehluss des Unterrichts mit sieh aus dem
Klassenzimmer, ohne weiter ein Wort zu verlieren. Würde diese Methode in aus-
gedehntem Masse angewendet, würden viele Gebote und Vorschriften überflüssig,
viel Verdruss und Gezanke erspart und viele Versuchungen, Unfug zu treiben, be-
seitigt werden. Gewisse Ungehörigkeiten wie: überlautes Lärmen, Herumspueken,
Herumliegenlassen von Papierfetzen und dgl. lassen sich wohl auch leicht beseiti-
gen, wenn man den Schülern dies als unästhetisch, als nichtpassend für Schüler,
als läppisch u. dgl. vorhält. Wenn derlei Dinge vom kulturellen Standpunkt be-
trachtet oder vorgehalten werden, wird es dem Lehrer viel leichter gelingen, seine
Forderungen durchzusetzen, seine Wünsche zu erreichen, als wenn er sie von an-
deren Gesichtspunkten aus betrachtet. Am Hässlichen, Simplen, Läppischen fin-
den zur Vertibung loser Streiche veranlagte Individuen lange nicht das Vergnügen,
Ilcrichtc- und Notizen.
113
das ihnen die Aiisfiihning des Unrechten, Schlechten, Verbotenen bereitet. Dies
gilt insbesondere für grössere Schüler. Wirken derartige Vorhaltungen nicht,
dann müssen eben kräftigere Mittel angewendet werden. Gelingt es dem Lehrer,
das Urteilsvermögen, das Pflicht- und Verantwortlichkeitsgefühl der Schüler der-
art zu erziehen, dass sie sich in jedem Falle klar darüber sind, was sie tun, wie
sie sich verhalten müssen, auch wenn keine Gebote oder Vorschriften ihnen den
Weg zeigen, dann hat er sein Ziel: gute Disziplin zu halten, erreicht.
Berichte und Notizen.
I. Korrespondenzen.
Baltimore.
t Professor Otto Fuchs, Di-
rektor des Maryland Instituts, wurde
nach nur zweitägiger Krankheit an
Lungenentzündung seinem ungemein se-
gensreichen Wirkungskreis entrissen.
Ein unersetzlicher Verlust für das Er-
ziehungswesen und das Deiitschtuni von
Stadt und Staat. — Vor 66 Jahren in
Salzwedel, Preussen. geboren, kam er
schon als zwölfjähriger Knabe mit sei-
nen Eltern nach New York. Dort ge-
noss er noch einige .Jahre Schulunter-
richt, arbeitete dann kurze Zeit in einer
Klavierfabrik und trat hierauf bei ei-
nem Civil-Ingenieur in die Lehre. Durch
eisernen Fleiss gelang es dem talentvol-
len Jungen, sieh heraufzuarbeiten, so
dass ihm bald die Leitung des Maschi-
nenzeichnens im Cooper Institut über-
tragen wurde.
Beim Ausbrucli des Bürgerkrieges trat
er in das Marinebauamt in New York
ein und zeichnete Pläne für Kriegs-
schiffe. Nach Eriksons Angaben führte
er hier die Baupläne für den ersten
Monitor aus. Nach dem Kriege wui'de
er Professor an der Marineakademie zu
Annapolis und zwei Jahre später über-
nahm er die Stelle als technisches
Haupt der grössten Schiflfs- und Ma-
schinenbaugesellschaft zu Boston. Bei
Begründung der dortigen Staats-Nor-
maikunstsehule wiu'de ihm die Leitung
der technischen Abteilung übertragen
und einige Jahres päter die Stelle als
Direktor des ganzen Instituts. In dieser
Stellung geriet sein ungemein scharf
ausgeprägter Unabhüngigkeitssinn bald
in Widerspruch mit den leitenden Poli-
tikern des Staates, doch Fuchs führte
eine scharfe Klinge, und als sich
schliesslich noch der Gouverneur, Gene-
ral Benj. F. Butler, einmischte, trat er
auch diesem unerschrocken in Wort und
Schrift entgegen. Die Sache wurde in
die nächste Wahlschlacht hineingezo-
gen; der Gouverneur unterlag, Fuchs
siegte.
Die ewige Katzbalgerei mit Politikern
ekelte ihn an und er folgte darum
1883 gerne dem Ruf als Direktor des
hiesigen Marj'land Instituts, nachdem
ihm unbedingte Freiheit inbezug auf
Anstellung und Entlassung von Lehr-
kräften, Einrichtung der Klassen und
Bestimmung des Schul- und Lehrplans
zugestanden worden war. So sehr war
es der Verwaltungsbehörde daran gele-
gen, den tüchtigen Mann zu gewinnen,
dass ihm auch die Bestimmung seines
eigenen Gehalts überlassen wurde. Wie
er das ihm bewiesene Vertrauen bewähr-
te, zeigt der Erfolg: was damals eine
ganz gewöhnliche Zeichenschule mit et-
wa 250 Schülern war, ist heute eine der
ersten — wenn nicht die erste —
Kunst- und Gewerbeschule des Landes,
mit 1400 Schülern. Und verschiedene
seiner Schüler sind bei den jährlichen
Wettbewerben in Paris mit der golde-
nen und andere mit der silbernen Me-
daille ausgezeichnet worden. Dass seine
\imfassende Tüchtigkeit voll gewürdigt
wurde und wird, zeigen mehr als alles
andere die Kundgebungen nach seinem
Hinscheiden.
Als Ehrenbahrtuchträger fungierten
der Staasgouverneur, der Bürgermeister
von Baltimore, zwei Universitätspräsi-
denten, ein Vertreter der Regierung zu
Washington, der Staats- und der Stadt
sehulsuperintendent, die Direktoren der
Kunstschulen zu Philadelphia und Bos-
ton, und dreissig der ersten Männer die-
ser Stadt. Die Staaslegislatur zu An-
napolis erliess Trauerbeschlüsse.
Obgleich Otto Fuchs schon als Knabe
in dieses Land kam und sich in Beruf
und Haus (seine kinderlose Gattin ent^»